© Benoit Grimbert / Le Mémorial de Caen
   Die Mauer in Mémorial de Caen

Das Graffito „Hase bleibt Hase“ sowie unzählige kleine schwarze und weiße Kaninchen zieren zwei Mauerteile, die im Mémorial de Caen zu sehen sind. Sie stehen auf Podesten in der Dauerausstellung des Antikriegsmuseums und illustrieren den Abschnitt „Das Ende des Kalten Krieges“. Der französische Unternehmer und Künstler Daniel Boulogne stiftete die beiden Segmente 1999 dem Museum. Während viele der heute über die ganze Welt verstreuten Mauerteile Graffiti vor allem auf der West-Berliner Seite zeigen, sind die beiden Segmente in Caen außergewöhnlich. Die Malerei des Berliner Grafikers Manfred Butzmann befindet sich auf der Ostseite der Mauer. Diese war bis zum Mauerfall unerreichbar. Ein breiter Todesstreifen zwischen der Grenze zu West-Berlin und dem Ost Berliner Hinterland verhinderte, dass man sich der Mauer von der DDR aus nähern konnte.

Bereits unmittelbar nach der Grenzöffnung am 9. November 1989 kam bei Künstlern in Ost und West die Idee auf, die Mauer nun auch auf der Ostseite zu bemalen. Obwohl seit dem 10. November 1989 einige Übergangsstellen im Mauerverlauf geöffnet worden waren und den Verkehr zwischen Ost- und West-Berlin ermöglichten, war der Todesstreifen noch immer gesperrt und wurde von den Grenztruppen der DDR bewacht. Als der Künstlerverband der DDR Mitte November 1989 ankündigte, die Mauer auch auf der Ostseite in Farbe tauchen zu wollen, war Daniel Boulogne begeistert. Der Pariser Unternehmer und Künstler lud Farben und Pinsel auf einen Lkw und fuhr spontan nach Berlin, um die Maler in der DDR zu unterstützen. In Berlin angekommen, traf er sich im Ost-Berliner „Palast Hotel“ mit Jean Pichard, einem Mitarbeiter des französischen Kulturinstitutes in der DDR. Dort kam er auch mit Leo Wolf in Kontakt, der kurz zuvor zum Leiter des Künstlerverbandes der DDR berufen worden war. Wolf war von der unerwarteten Hilfe begeistert und die beiden verabredeten sich für den 17. November 1989 am Grenzübergang Checkpoint Charlie. Hier sollten die geschenkten Malutensilien in die DDR gebracht werden.

Trotz des Mauerfalles war der Grenzübergang, der für Diplomaten und Ausländer vorgesehen war, noch immer stark bewacht. Die Abfertigung eines Transporters mit zwei Tonnen nicht deklarierter Farben und Malwerkzeug sollte sich als Problem erweisen. Die DDR-Behörden verweigerten Boulogne und seinem Fahrer Joël zunächst die Einreise:

„Ich bin mit Jean Pichard zurück in den Schweizerhof gefahren. In der Halle des Hotels war immer noch die gleiche aufgeladene Atmosphäre zu spüren. Wir haben zwei Kameramänner des Senders CNN mitgenommen. Wir wollten den Vopos in den Rücken fallen. Durch Leo Wolf hatten wir erfahren, welchen Übergang man als Fußgänger gefahrlos benutzen konnte. So sind wir nach einem Umweg auf die Ostseite vom Checkpoint Charlie gekommen. Das Schwierigste war nun, den Lastwagen nach drüben zu bekommen. Die Kameramänner von CNN waren Feuer und Flamme. Sie haben ihre Kameras direkt hinter den Vopos aufgestellt und fingen an zu filmen. Ich versuchte in Richtung Lastwagen zu gehen, aber sofort stellte sich ein Vopo mir entgegen. Er versperrte mir den Weg und drohte mir mit der Kalaschnikow. Es sah schlecht aus. Doch das Glück war mit uns. Während ich mit dem Vopo diskutierte, hat ein 38-Tonner Joëls Lastwagen überholt, der immer noch im Niemandsland stand. Die Vopos gingen auf den 38-Tonner zu, um ihn zu kontrollieren. In dem Moment ist es mir gelungen, zu Joël zu gelangen und auf das Trittbrett zu springen. Joël hat den ersten Gang eingelegt. Die Kameras waren auf den Lastwagen gerichtet, der sich langsam in Bewegung setzte. Ein Vopo kam auf uns zu. Er zielte mit der Kalaschnikow auf mich. Ich zeigte auf die Kameras, die ununterbrochen filmten. Er schrie mir etwas auf Deutsch zu. Ich versuchte, ihm auf Französisch zu antworten. Alles hat sich zwischen uns mit Blicken abgespielt. Ich sah die Angst in seinen Augen, als er sich den Kameras zuwendete. Er hatte verstanden, dass, falls er schießen würde, die Kameras nicht einen Soldaten filmen würden, der einen Befehl ausführt, sondern einen Mord, eine Hinrichtung, ein Verbrechen. Er ist einen Schritt zurückgewichen und hat seine Waffe gesenkt. Wir hatten gewonnen.“

Auf der anderen Seite des Checkpoint Charlie warteten bereits Leo Wolf und seine Mitstreiter. Inzwischen war es jedoch Abend geworden, sodass die Aktion auf den nächsten Tag verschoben werden musste. Am 19. November 1989 konnten die Arbeiten schließlich beginnen. Mit offizieller Duldung und von den Grenztruppen argwöhnisch beobachtet, begannen dreißig Künstler die Mauer auf vierhundert Meter Länge zwischen Potsdamer Platz und Leipziger Straße auf Ost-Berliner Seite zu bemalen. Alle bekamen ein Mauersegment zur Verfügung gestellt, das jeder nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten konnte. Bis zum Nachmittag herrschte auf dem Todesstreifen ein buntes Treiben. Dann erreichte die Grenzsoldaten der Befehl, die Aktion zu beenden. Überrascht von diesem plötzlichen Sinneswechsel mussten die Künstler ihre Arbeit abbrechen. Die meisten Bilder waren aber bereits fertiggestellt. Die Grenzsoldaten begannen noch in der Nacht, die Graffiti zu übermalen. Wer die Anordnung hierzu gab, ist bis heute unbekannt. Allerdings war die hierfür verwendete weiße Farbe von so schlechter Qualität, dass die Kunstwerke weiter hindurchschimmerten.

Unter den Künstlern, die sich an dieser ersten Mauerkunstaktion im Osten beteiligten, war auch Manfred Butzmann. Seine heute im Memorial de Caen ausgestellten Hasen gehen auf einen Kinderspielplatz zurück, der 1972 an der Parkstraße in Berlin-Pankow angelegt wurde. Da die DDR-Behörden den wiederholten Bitten der Bürger, einen Spielplatz anzulegen, nicht nachkamen, entschlossen sich die Anwohner einen Parkplatz eigenmächtig umzugestalten. Zur Einweihung hisste Manfred Butzmann eine Hasenfahne, Symbol für die Überwindung von Angst und Machtlosigkeit. Nach dem Mauerfall griff Butzmann dieses Motiv wieder auf. Die wild lebenden Kaninchen waren bis dahin die einzigen Bewohner des Todesstreifens an der Grenze gewesen. Nun war die Mauer offen und die Bürger, die „angstvollen und machtlosen Hasen“, hatten das DDR-Regime schließlich überwunden.

Wenige Wochen nach der Mauermalaktion begann im Juni 1990 der Abriss der Grenzbefestigungen. Boulogne schickte einen seiner Mitarbeiter nach Ost-Berlin. Dieser sollte so viele Mauerteile mit Graffiti wie möglich vor dem Schredder retten. Zufällig entdeckte er auch die Hasen von Butzmann, die so vor der Zerstörung bewahrt wurden. Boulogne ließ sie nach Frankreich bringen und schenkte sie dem Museum in Caen.

Karte mit Standorten, an denen Teile der Berliner Mauer zu finden sind.