©Moritz Reininghaus
   Mauerreste am Berliner S-Bahnhof Schönholz, 2020
©Moritz Reininghaus
   Mauerteile in Wischershausen, 2020
©Ulrich Mählert
   Mauerstück von Hans Martin Fleischer am Potsdamer Platz, 2020
©Archiv der Versöhnungsgemeinde
   Gründungsaufruf der Initiative "Die Mauer muß bleiben"
©Bundesstiftung Aufarbeitung
   Transport des Mauersegmentes auf den Kollhoff-Tower
©Bundesstiftung Aufarbeitung
   Joachim Gauck vor dem Mauersegment auf dem Kollhoff-Tower
©Moritz Reininghaus
   Das Mauerdenkmal in Silberhausen
©Moritz Reininghaus
   Das Mauerdenkmal in Silberhausen
©Moritz Reininghaus
   Mauerteile in Teltow
©Moritz Reininghaus
   Mauerteile in Teltow

Tina Schaller und Moritz Reininghaus

„Die Mauer muß bleiben“

Ende Oktober 1989, zu einem Zeitpunkt, als sich die Welt noch nicht darüber im Klaren war, wann und unter welchen Umständen sich die Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland öffnen würde, überraschte die Berliner Geschichtswerkstatt e. V. am 30. Oktober mit der Initiative „Die Mauer muß bleiben“. Getragen von dem Gedanken, einen Teil der Berliner Mauer zur Nachvollziehbarkeit des Unrechtes für kommende Generationen zu erhalten, ließ sie verlauten: „Symbol der Unterdrückung elementarer Bürgerrechte ist seit 28 Jahren die Berliner Mauer. Die Zeit wird über sie hinweggehen, da sind wir sicher. Werden die Grenzen eines Tages geöffnet, warnen wir aber schon jetzt vor einer kulturellen Barbarei: Reißt die Mauer nicht ein!!“[1]

Dass die Grenzen zwischen Ost- und Westdeutschland bereits zehn Tage später, am 9. November 1989 geöffnet werden sollten, war zu diesem Zeitpunkt wohl niemandem bewusst. Schon wenige Tage danach wurde am Potsdamer Platz ein Stück der Mauer herausgebrochen, ein aufgegrabenes Straßenstück asphaltiert und in der Nacht vom 11. zum 12. November 1989 ein provisorischer Grenzübergang geschaffen. Acht Mauerteile wurden mit Kränen herausgehoben. In der Folgezeit entstanden immer mehr Übergänge zwischen den beiden Stadthälften, am 22. Dezember 1989 auch am Brandenburger Tor. Dabei war für die Bewohner Berlins zum ersten Mal deutlich sichtbar, wie die „Mauer“ aufgebaut war und dass sie keineswegs nur aus einer Mauer bestand, sondern ein tief gestaffeltes System an Grenzanlagen umfasste, die unter anderem verschiedene Grenzzäune, Mauern, Wachtürme und den Todesstreifen einschlossen.

Das lukrative Geschäft mit der Mauer begann bereits mit dem Abriss der Grenzanlagen und dem Verkauf von Mauersegmenten sowie Teilen der Grenzanlagen durch die noch von der DDR-Regierung beauftragten Außenhandelsfirmen Limex und LeLé Berlin Wall Verkaufs- und Wirtschaftswerbung GmbH.[2] Und auch heute noch lassen sich nicht nur über das weltweit größte Internetauktionshaus eBay Inc. Mauersteine in der Größe einer Briefmarke, sondern auch bis zu drei Tonnen schwere Originalsegmente der Berliner Mauer und sogar ganze Grenztürme erwerben.

Ab Juni 1990 begann der systematische Abriss der Mauer durch Angehörige der Nationalen Volksarmee sowie der West-Berliner Polizei und war bereits im November desselben Jahres weitestgehend abgeschlossen. Zerkleinert und für den Straßenbau verwendet finden sich Bruchstücke der Berliner Mauer auf Berliner Parkplätzen oder schlichtweg unter dem Straßenbelag.[3]  Hunderte Mauerteile wurden jedoch verkauft und als Denkmäler in vielen Ländern wiederaufgestellt. Auch in Deutschland finden sich an vielen Orten diese Mauerdenkmäler.

Die Berliner Mauer ist aus dem heutigen Stadtbild weitestgehend verschwunden. Der Abriss der innerstädtischen Mauer erfolgte rasant und ließ nicht viel Zeit und Raum, um über geeignete Konzepte zum Erhalt eines Teiles der Berliner Mauer als Mahn- oder Gedenkstätte nachzudenken oder zu diskutieren. Es ging vor allem darum, der Stadt schnell wieder zu städtischer Normalität zu verhelfen und die durch die umfassenden Grenzanlagen geschaffenen Brachen im Stadtbild zu schließen. Mit dem fortschreitenden Abriss wurden unwiederbringliche Tatsachen geschaffen. So ist heute kaum mehr nachvollziehbar, wo die Mauer eigentlich verlief. Nur drei Teilstücke der sogenannten Vorderlandmauer sind am Originalstandort erhalten geblieben: an der Niederkirchnerstraße, an der Liesenstraße und an der Bernauer Straße.

Der längste erhaltene Abschnitt der Vorderlandmauer befindet sich an der Bernauer Straße. Hier blieben 212 Meter erhalten, die allerdings durch eine Entfernung von Segmenten 1997 eine Lücke aufweisen.[4]

East Side Gallery

Darüber hinaus blieben in Berlin vor allem Teile der sogenannten Hinterlandmauer, die den Grenzabschnitt in Richtung Osten, also DDR, begrenzte, erhalten. Der umfangreichste erhaltene Abschnitt dieser Hinterlandmauer, der sich mit 1,3 Kilometern Länge parallel zu Mühlenstraße und Spree vom Ostbahnhof bis zur Oberbaumbrücke erstreckt, ist 1990 von internationalen Künstlern zur East Side Gallery gestaltet und 1991 unter Denkmalschutz gestellt worden. Eine umfassende Sanierung der East Side Gallery unter anderem durch die Freigabe finanzieller Mittel vom Berliner Senat erfolgte 2008/2009. 86 Künstler malten ihre Bilder erneut an die sanierte Mauer. Nach monatelangen Sanierungsarbeiten waren 2.010 Mauerbilder wie der „Bruderkuss“[5] des russischen Künstlers Dmitri Wrubel oder der Trabant, der die Mauer durchbricht – mit dem Titel „Test the Rest“ von der Künstlerin Birgit Kinder wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Der Künstler Jim Avignon entschied sich dagegen, sein altes Mauerbild von 1991 Strich für Strich nachzuzeichnen.  In einer spektakulären und gleichzeitig umstrittenen Aktion übermalte er im Oktober 2013 mit Unterstützung mehrerer Kunstschüler sein eigenes unter Denkmalschutz stehendes Werk. Eine Genehmigung hiervor besaß er nicht, sodass die Denkmalschutzbehörde seinerzeit die Verhängung eines Bußgeldes prüfte.

Der Streifen hinter diesem langen Mauerteilstück wurde in den folgenden Jahren bebaut. So entstanden Cafés am Ufer. 2012 gab der Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg Teile des Streifens zur Bebauung frei. Ein Investor erhielt daraufhin die Genehmigung, hier einen 63 Meter hohen Wohnturm und ein Hotel direkt am Spreeufer zwischen East Side Gallery und Spree zu errichten. Mit dem Beginn der Bauarbeiten wurden 2013 Mauersegmente entfernt, um eine Zufahrt zur Großbaustelle herzustellen. Bereits 2006 wurden für die im Bau befindliche O2 World und spätere Mercedes-Benz Arena 34 Mauersegmente versetzt und so eine Lücke von 40 Metern als Bedingung für den Bau der Großarena geschaffen. Die Künstlerinitiative East Side Gallery e. V. um ihren Vorsitzenden Kani Alavi richtete sich in mehreren öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen gegen eine weitere Zerstörung der Mauer sowie ihrer Bilder und stieß hierbei auf nationale und internationale Unterstützung. Trotz der Kritik an der Bebauung des historisch sensiblen Baugrundes ist das umstrittene Wohnungsbauprojekt, d. h. der weißgefärbte Wohnturm mit dem Namen „Living Levels“, inzwischen abgeschlossen. Direkt neben dem Wohnturm erfolgt nun zudem der Bau des Hotels, für das der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bereits 2012 eine Genehmigung erteilt hatte. Die Fertigstellung des riegelartigen Gebäudes Pier 61/63, das neben einem Hotel auch Mietwohnungen umfassen soll, ist durch das Unternehmen Trockland Management GmbH bis 2021 geplant. Seit 2018 zeichnet sich die Stiftung Berliner Mauer für den baulichen Unterhalt des Denkmals East Side Gallery, die Pflege der zugehörigen öffentlichen Grünanlage sowie für die Vermittlung des historischen Erinnerungsortes verantwortlich.[6]

Mahnmale der geteilten Stadt in der vereinten Stadt

Berlin hat als ehemals geteilte Stadt die meisten Mauer-Gedenkorte. Neben den großen Gedenkstätten finden sich darüber hinaus an vielen oftmals überraschenden Orten Mauersegmente. So beispielsweise direkt am Eingang zum S-Bahnhof Potsdamer Platz, in den Ministergärten, im Kaufhaus Galerie Lafayette vor dem Märkischen Museum, in Wohngebieten oder als Zierstück vor Berliner Hotels wie z. B. dem Hotel Intercontinental, dem Hotel Westin Grand, dem Hotel Estrel und dem Hotel Kolumbus. Ein weiteres Originalsegment der Berliner Mauer wurde am 15. Juli 2010 auf dem Dach des Kollhoff-Towers aufgestellt. Das Gebäude am Potsdamer Platz, das nach seinem Architekten Hans Kollhoff benannt ist, gehört mit 103 Metern zu den höchsten in Berlin.[7]

Ein sehr beeindruckendes und der Öffentlichkeit zugängliches Mauermahnmal von Ben Wagin ist im zum Bundestag gehörenden Marie-Elisabeth-Lüders-Haus in Berlin zu finden. An der Westfront des multifunktionalen Baues liegt in Form einer Rotunde die Parlamentsbibliothek. Sie erstreckt sich über vier Ebenen. Im Tiefgeschoss der Bibliotheksrotunde erinnern Originalsegmente der Berliner Mauer, die bis 1990 das heutige Parlamentsgrundstück durchschnitt, an den ehemaligen Grenzverlauf und die Berliner Teilung. Ben Wagin sicherte die Mauersegmente und ließ sie für jedes Jahr zwischen 1961 und 1989 mit der Anzahl an Personen, die bei Fluchtversuchen an der innerdeutschen Grenze und der Berliner Mauer zu Tode kamen, versehen. Ergänzt wird das Mahnmal durch das von Maria Nooke erarbeitete Mauertoten-Gedenkbuch, in dem Kurzfassungen der Biografien von den Todesopfern den bloßen Zahlen ein menschliches Antlitz geben. Stephan Braunfels, der Architekt des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses, integrierte das Mauermahnmal von Ben Wagin in die Architektur des Hauses und ließ die Mauersegmente dem ursprünglichen Verlauf der Mauer folgend aufstellen. Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus – benannt nach der ehemaligen Reichstagsabgeordneten und späteren Alterspräsidentin des Deutschen Bundestages Marie-Elisabeth Lüders – dient seit seiner Fertigstellung im Dezember 2003 als wissenschaftliches Dienstleistungs- und Infrastrukturzentrum des Parlamentes. Die wissenschaftliche Parlamentsbibliothek ist nach Washington und Tokio die drittgrößte Fachbibliothek ihrer Art in der Welt.

Ein Stück Geschichte zum Anfassen

Es ist vor allem dem Engagement Einzelner zu verdanken, dass Teile der Berliner Mauer nicht nur als persönliche Trophäe in der eigenen Schrankwand landeten, sondern als Orte der Erinnerung und Mahnung auch anderenorts in Deutschland aufgestellt wurden. So gelangte das wohl erste Originalsegment der Berliner Mauer in das thüringische Dorf Silberhausen im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet. Auf dem Dorfanger wurde es am 29. April 1990 im Beisein der damaligen Bundestagspräsidentin, Rita Süssmuth, und dem Leiter des Berliner Mauermuseums – Museum „Haus am Checkpoint Charlie“, Rainer Hildebrandt, eingeweiht. Rechts und links neben dem Betonsegment setzte man bei der Zeremonie als Symbol des Lebens zwei Linden. Bereits Anfang Dezember 1989 war der gelernte Steinmetz Michael Spitzenberg aus Silberhausen mit professionellem Werkzeug im Gepäck nach Berlin gereist, um sich am Grenzübergang Sonnenallee als Mauerspecht zu betätigen. Obwohl er selbst als junger Mann nur wenige Kilometer von Silberhausen entfernt den Grenzzaun zu Westdeutschland mit aufbauen musste, war er von den unmenschlichen Ausmaßen der Mauer in Berlin schockiert. Deshalb beschloss er spontan, ein Segment in sein Heimatdorf im Eichsfeld bringen zu wollen: „Es konnte ja nicht jeder nach Berlin fahren und sich das anschauen.“ 30 Jahre später erinnert sich Spitzenberg schmunzelnd daran, wie er ohne Geld das Mauerstück für Silberhausen „organisierte“: Unzählige Telefonate und Briefe, aber auch Pralinen für eine Telefonistin bei der Limex und ein paar Tricksereien seien dazu nötig gewesen. Anfang Februar 1990 konnte er mit einem geliehenen Lastwagen nach Berlin fahren, um das ihm zugesprochene Element mit der Nr. 196 entgegenzunehmen. Da dieses aber schon stark unter den Mauerspechten gelitten hatte, luden sie kurzerhand ein anderes Mauerteil auf und fuhren damit schnell wieder ins Eichsfeld zurück, wo es zunächst in Spitzenbergs Garten abgestellt wurde.

Auf der Ostseite des Mauerstückes arbeitete der Steinmetz eine Sonnenuhr mit den aus seiner Sicht prägnanten Punkten der DDR-Geschichte sowie den Daten des Sperrriegels um West-Berlin ein. Auf der ehemaligen Westseite findet sich die originale Bemalung. Damit das Denkmal in der Ortsmitte aufgestellt werden konnte, erhielt er von der Bürgermeisterin des Ortes einen befristeten Pachtbrief für genau drei Quadratmeter. Als 2020 Der Spiegel über das Denkmal in Silberhausen und seinen Initiator berichtete, stellte er mit einem Augenzwinkern fest, dass sich Deutschlands „wahre Mitte, [d]er Gleichgewichtspunkt dieses Landes“ exakt dort befindet, wo Spitzenbergs Denkmal steht – auf dem Dorfanger in Silberhausen.[8] Im Jahr 2020 suchte Spitzenberg nach Geldgebern, die ihn dabei unterstützen, das Denkmal zu erhalten. Ob es sich hierbei wirklich um das allererste außerhalb Berlins aufgestellte Mauersegment in Deutschland handelt, muss weiterhin unbeantwortet bleiben. Sicher ist jedoch, dass Weitere folgten.

So erwarb der Düsseldorfer Augenarzt Dr. Joachim Zeitz Anfang der 1990er-Jahre drei Mauersegmente, die ursprünglich Teil der Grenzanlage am Potsdamer Platz waren. Zeitz erfuhr aus der Zeitung vom Verkauf der Mauerstücke. Da ihm die Bemalung der Mauerteile durch den bekannten Mauerkünstler Thierry Noir gefiel, kaufte er die drei Segmente. Heute findet sich eines der Mauersegmente in seinem Garten und die beiden anderen machte er später der Stadt Meerbusch zum Geschenk. Neben dem Büdericher Mataré-Gymnasium hatte auch der Schulleiter des Meerbusch-Gymnasiums Interesse bei der Stadt bekundet und den Schulhof seines Gymnasiums als Standort der Mauerteile vorgeschlagen. Die Entscheidung fiel schließlich auf den öffentlich zugänglichen Rand des Schulhofes des Meerbusch-Gymnasiums in Strümp. Am 23. Mai 2011 anlässlich des 62. Jahrestages der Verabschiedung des Grundgesetzes erfolgte die Einweihung der zwei Segmente der Berliner Mauer auf dem Schulhof.

Teltow Gallery

Nur wenigen bekannt ist, dass es neben der Berliner East Gallery auch eine Brandenburger Variante gibt. 2009, im 20. Jahr des Mauerfalles, entstand die Idee, eine Teltow Gallery – als Brandenburger Variante der East Side Gallery – einzurichten. Anfang der 1990er-Jahre hatte das Unternehmen VEB Betonwerke Mauersegmente, die ursprünglich als Teil der Grenzanlagen in Berlin-Spandau gestanden hatten, aus der Konkursmasse der Nationalen Volksarmee erworben, um sie als Boxen für Schüttgut zu nutzen. Die etwa 200 verbliebenen Mauersegmente lagerten schließlich ungenutzt auf dem Betriebshof der ehemaligen VEB-Betonwerke. Der Teltower Stadtverordnete Steffen Heller setzte sich gegenüber dem Bürgermeister Thomas Schmidt im Jahr 2013 für eine Teltow Gallery ein.[9] Die Stadtverordneten stimmten zu und es kamen Künstler wie Thierry Noir, um die grauen Betonelemente künstlerisch zu gestalten. Anders als vorgesehen scheiterte die Umsetzung des Projektes jedoch am mangelnden öffentlichen Interesse. 2011 erwarb Elmar Prost, Geschäftsführer der Baustofffirma Klösters, die noch verbliebenen 164 Mauersegmente und ließ sie auf seinem Firmengelände in Teltow aufstellen.[10] Nach dem Scheitern der Teltow-Gallery richtete sich sein Angebot, dass unter dem Motto „Mauerteile bemalen“ stand, an Künstler und Laien. Jedem Interessierten, der sich via Formular bewarb und einen Nutzungsvertrag mit festgelegtem Regel- und Verhaltenskodex unterschrieb, wurde eines der durchnummerierten Mauersegmente zugewiesen. Sechs Monate konnte man dann dieses Mauerteil beliebig häufig umgestalten. Für 500 Euro konnte das individuelle Kunstwerk auch käuflich erworben werden. Neben Laien haben hier auch Künstler wie Thierry Noir oder Victor Landeta ihre Spuren hinterlassen.

Das Projekt ist inzwischen abgeschlossen. Nicht wenige der ursprünglich 164 Mauersegmente gelangten in die weite Welt: Sie wurden nach Singapur und Südkorea verschifft sowie nach China, Belgien, Holland und Polen transportiert.[11] Dennoch waren auch 2020 noch zahlreiche bemalte Mauerteile in Teltow abgestellt.

Die Edition Visible Wall

2009, 20 Jahre nach dem Mauerfall, wurde von dem Kunstmanager Patrice Lux und dem Designer Jan Sötje die Edition Visible Wall ins Leben gerufen. Zielsetzung war und ist es, jungen Künstlern die kreative Arbeit auf orginalen Betonsegmenten der Berliner Mauer zu ermöglichen und darüber hinaus die Kunstwerke der Mauerkünstler, die bis 1989 auf der Grenzmauer malten, zu erhalten und für die jüngeren Generationen sichtbar zu machen. Zahlreiche Projekte in Europa und den USA konnten realisiert werden. Höhepunkte waren die Cinema for Peace-Gala für Michail Gorbatschow 2009, Ausstellungsprojekte mit EU-Ministerrat und EU-Parlament in Brüssel 2010 sowie die Mitwirkung am Mauerdenkmal von Stephan Balkenhol auf dem Axel-Springer-Platz in Berlin.

Neben der Gestaltung von originalen Mauersegmenten werden seit 2009 Porzellan-Miniaturen der Berliner Mauer herausgegeben: Diese Mauerminiaturen zeigen Motive der Mauerkunst in farbigem Siebdruck auf Porzellan.

Die Mauer-Initiative der Axel Springer SE

Ebenfalls im Jubiläumsjahr 2009entschied sich die Axel Springer AG,[12] initiiert durch den damaligen Chefredakteur der Bild-Zeitung Kai Diekmann, zu einer besonderen Initiative: Jedes Bundesland sollte mit einem Originalsegment der Berliner Mauer beschenkt werden. Auslöser dieser Aktion war eine Kleinanzeige in der Berliner Morgenpost, in der die Zwangsversteigerung eines Grundstückes, auf dem Originalsegmente der Berliner Mauer lagerten, angekündigt wurde. So entstand die Idee. Am 17. Juni 2009, dem ehemaligen Tag der Deutschen Einheit, wurde Saarbrücken und somit das Saarland als erstes Bundesland mit einem originalen Segment der Berliner Mauer bedacht. Es folgte Baden-Württemberg, wo das Mauerdenkmal am 9. November 2009 in der Landeshauptstadt Stuttgart gleich neben dem Landtag aufgestellt wurde. Neben Kai Diekmann, der das Mauersegment an Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster übergab, waren auch der Baden-Württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger und Anna Kaminsky bei der Einweihungszeremonie zugegen.

Darüber hinaus erhielten Magdeburg (28. September 2010), Bremen (3. Oktober 2010), Rostock (4. November 2009), Kiel (10. November 2009) und Düsseldorf (12. November 2009) eines der für die Initiative der Axel Springer SE vorgesehenen Mauersegmente. In einer Grünanlage zwischen der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei und dem Düsseldorfer Landtag ist „das Mauerstück von Bild – als Mahnmal gegen das Vergessen jetzt allen Bürgern zugänglich“,[13] so Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in seiner Dankesrede. Anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerbaues wurde so jedem Bundesland ein Originalsegment der Berliner Mauer überreicht und in der Regel in der jeweiligen Landeshauptstadt aufgestellt.

Die Mauer im Garten des „Kanzlers der Einheit“

Im Rahmen dieser Initiative schenkte die Axel Springer SE auch dem 2017 verstorbenen Bundeskanzler a. D. Helmut Kohl ein Originalstück der Berliner Mauer in Anerkennung seiner Verdienste um die Wiedervereinigung. 50 Jahre nach dem Mauerbau, am 9. August 2011, fand die feierliche Enthüllung im Vorgarten von Helmut Kohls Wohnhaus im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim statt. Neben seiner Ehefrau Maike Kohl-Richter und der Oberbürgermeisterin Ludwighafens Eva Lohse nahmen auch hundert Schüler der ehemaligen Grund- und Oberschule des Altkanzlers an der Einweihung teil. Helmut Kohl verwies in seiner Dankesrede auf die Symbolkraft der Geschichte der Berliner Mauer und der mit ihr verwobenen menschlichen Schicksale, die mit dem Mauerbau am 13. August 1961 begann und schließlich mit der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands ihr Ende fand.[14] Mit 16 Jahren Amtszeit war Helmut Kohl der bis dahin am längsten regierende Kanzler der Bundesrepublik, der auch zum ersten des wiedervereinigten Deutschlands wurde. Im Anschluss an die feierliche Enthüllung erfolgte die Umsetzung des Mauerstückes an seinen jetzigen Standort – in den Garten des Wohnhauses, sodass der Blick aus dem Wohnhaus sowie von der Gartenterrasse aus stets auf das Mauerfragment fällt.

„Zirkeltag“ am 5. Februar 2018

Am 5. Februar 2018 waren mehr als 28 Jahre seit dem Mauerfall vergangen. Damit war die Berliner Mauer genauso lang offen, wie sie einst die Stadt geteilt hatte. Das Datum diente insbesondere den Medien dazu, sich mit den Themen Mauerbau und Mauerfall zu beschäftigen.

Unabhängig davon hatte die Berliner Mauer bereits kurz zuvor für Schlagzeilen gesorgt: „Forscher entdeckt Reste der Berliner Ur-Mauer“, hieß es im Januar 2018 beispielsweise im Tagesspiegel über  bislang unbeachtete Reste der Sperranlage : „Wer in der S-Bahn saß und am Bahnhof Schönholz im Nordwesten Pankows nach Osten geblickt hat, der hatte sie direkt vor der Nase.“[15] Tatsächlich hatte der Heimatforscher Christian Bormann die Entdeckung im Berliner Norden bereits 19 Jahre zuvor gemacht, wie er auf seinem Blog pankowerchronik.de bekannt gab: „Die Entdeckung gelang mir bereits 1999, bis heute habe ich sie jedoch geheim gehalten. Es geht um etwa 80 laufende Meter innerdeutsche Staatsgrenze vom 13. August 1961 im Urzustand. Das letzte noch existierende Stück Berliner Mauer 1 im Originalzustand.“[16] Aus Sorge über den zunehmenden Verfall der Mauerreste habe er nun den Schritt in die Öffentlichkeit angetreten, so Bormann. Sogar amerikanische Kamerateams reisten in den folgenden Tagen an die Grenze zwischen den Berliner Stadtteilen Reinickendorf und Pankow, um die 1961 eilig aus Bauschutt und bestehenden Gebäuden errichtete Mauer zu filmen.[17] Unter anderem weil sich Bormanns Entdeckung heute auf Reinickendorfer Gebiet und damit im ehemaligen West-Berlin befindet, kam ein erstes Gutachten des Berliner Landesdenkmalamtes allerdings zu dem Schluss, dass es sich überhaupt nicht um Bestandteile der ehemaligen Grenzanlage, sondern lediglich um eine beliebige Mauer im grenznahen Gebiet handele. Dieser Auffassung widersprach der Entdecker und verwies darauf, dass das Gebiet erst nach einer 1988 erfolgten Grenzbegradigung Reinickendorf zugeordnet wurde. Auch die Stiftung Berliner Mauer stützte Bormanns These und sah keinen Grund, die Authentizität der Mauerreste in Zweifel zu ziehen. Zumindest die offizielle Tourismus-Website Berlins hat sich dem angeschlossen und empfiehlt das zum Schutz vor „Mauerspechten“ umzäunte Areal am S-Bahnhof Schönholz inzwischen als Ausflugsziel.[18]

Unter anderem das Online-Nachrichtenportal Tag 24 nahm den „Zirkeltag“ zum Anlass, über einen ganz anderen, ebenfalls nahezu vergessenen Standort von Mauerteilen zu berichten.[19] In dem kleinen Dorf Wischershausen bei Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern stehen bis heute Hunderte Mauerteile, die eine ehemalige Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) nach dem Fall der Mauer 1990 als Stützmaterial für Futtersilos an ihren Standorten in Wischershausen, Breesen und Teetzleben gekauft hatte. An einigen Silos sind auch heute noch stark verwitterte Bemalungen erkennbar. Insgesamt 37.000 DDR-Mark sollen für die etwa 600 „Winkelstützelemente Typ UL 12.41“ gezahlt worden sein. Rund einhundert der mit bunter, teilweise eigens für den Verkauf aufgefrischter Bemalung versehenen Mauersegmente wurden in den letzten Jahren wieder verkauft. So veranstaltete die Deutsche Grundstücksauktionen AG in Berlin noch 2011 eine Versteigerung von Mauerteilen, die teilweise aus Wischershausen stammten. Doch das Interesse an den Segmenten hatte bis 2018 bereits stark nachgelassen, die Preise waren von einst bis zu 12.000 Euro pro Stück auf rund 2.000 Euro gefallen.[20] Auch 2020 standen noch Dutzende bemalte Mauersegmente auf dem Betriebsgelände in Wischershausen und sind dem Verfall preisgegeben.

Weit weniger Aufsehen als der Mauerfund in Schönholz erregte im Sommer 2018 eine Entdeckung unweit des ehemaligen Grenzüberganges Chausseestraße. Punktgenau zum Tag des Mauerbaues am 13. August vermeldete der Tagesspiegel: „Vergessenes Stück der Berliner Mauer wiederentdeckt.“[21] Bei einem „Kiez-Spaziergang“ mit dem Baustadtrat von Berlin-Mitte, Ephraim Gothe, durch den noch nicht eingeweihten Südpanke Park gegenüber dem Neubau des Bundesnachrichtendienstes war man auf mehrere Elemente der „Hinterlandmauer“ gestoßen. Da diese nicht die für die vorderen Sperrelemente der „Grenzmauer 75“ typische L-Form haben, wurde ihre Echtheit anhand von ebenfalls erhaltenen Peitschenleuchten festgestellt. Die entdeckten Elemente wurden umgehend unter Denkmalschutz gestellt. 

Ebenfalls im Sommer 2018 zog ein kontrovers diskutiertes Kunstprojekt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Die Berliner Festspiele und die Phenomen Berlin Filmproduktions GmbH wollten vom 12. Oktober bis 9. November 2018 unter dem Schlagwort „Freiheit“ rund um das Kronprinzenpalais am Boulevard Unter den Linden einen „Erlebnisraum“ einrichten. Darin sollte das seit 2008 entstandene, mehr als 700 Stunden umfassende Filmmaterial des russischen Regisseurs Ilja Chrschanowski über den sowjetischen Physiker und Nobelpreisträger Lew Landau („Dau“) gezeigt werden. Um das Leben Landaus in der von Repressionen geprägten Sowjetunion nachvollziehbarer zu machen, sollte das Gebiet nach außen von einer originalgetreuen Replik der Berliner Mauer abgegrenzt werden. Dazu waren in Polen 430 bereits täuschend echt wirkende Mauerteile aus Beton gegossen und nach Berlin transportiert worden.[22] Innerhalb der Mauer sollten eigene Regeln gelten und die Besucher ein „Visum“ beantragen müssen, um die Filme sehen zu können. Doch die 800 Meter lange Mauer durfte nicht errichtet werden.[23] Die zuständigen Behörden untersagten das Projekt zumindest vorerst mit Hinweis auf die kurzfristige Antragstellung sowie die nicht zu gewährleistende Verkehrssicherheit und den mangelnden Brandschutz. Damit wurde auch die über Wochen teils heftig geführte Auseinandersetzung zwischen Gegnern und Befürwortern des Projektes zunächst hinfällig.

30 Jahre Mauerfall

Unter dem Motto „30 Jahre Friedliche Revolution – Mauerfall“ wurden in Berlin rund um den 9. November 2019 mit einer Vielzahl von Veranstaltungen und Ausstellungen an den Bau der Mauer, die Teilung der Stadt, den Kalten Krieg und die Friedlichen Revolution von 1989 erinnert.[24] Aus Furcht vor Terroranschlägen konnten Veranstaltungen nur unter strengen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden, Ansammlungen von größeren Menschengruppen sollten vermieden werden, um mögliche Anschlagsrisiken zu mindern. Daher verteilten sich die Angebote der Festivalwoche auf sieben historisch wichtige Orte: Auf dem Alexanderplatz, dem Schloßplatz, am Brandenburger Tor, an der East Side Gallery, an der ehemaligen Stasi-Zentrale und am Kurfürstendamm sowie in der Zions- und Gethsemanekirche wurden Open Air-Ausstellungen, Videoprojektionen, Podiumsveranstaltungen und Konzerte angeboten. Zum Auftakt am 4. November lud die Bundesstiftung Aufarbeitung am Brandenburger Tor zu einer Veranstaltung über den Mauerfall aus internationaler Perspektive ein. Als Gäste diskutierten der französische Historiker Etienne François, der Leiter des Europäischen Zentrums der Solidarność in Danzig Basil Kerski, die US-amerikanische Juristin Anne Rubesame sowie die russische Kulturschaffende Svetlana Müller über die länderspezifischen Sichtweisen auf den Mauerfall damals und heute. Direkt am 9. November 2019 saßen sich mit Stephan Hilsberg, Andreas Schönfelder, Wolfgang Templin, Manfred Wilke und Evelyn Zupke bei einer von der Bundesstiftung und Kulturprojekte Berlin veranstalteten Podiumsdiskussion in der Berliner Zionskirche Zeitzeugen der Friedlichen Revolution gegenüber. Sie diskutierten über die Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen von 1989. Für die Bundesstiftung stand die Erinnerung an die Friedliche Revolution und den Mauerfall in internationaler Perspektive das gesamte Jahr 2019 im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Ein besonderer Fokus lag auf Angeboten, mit denen die historischen Ereignisse und deren Tragweite für jüngere Zielgruppen aufbereitet und zugänglich gemacht wurden.

In kleineren Dimensionen als das gescheiterte „Dau“-Projekt in Berlin ein Jahr zuvor, aber ebenfalls mit Replikaten der Berliner Mauer, gestaltete das Deutsche Nationaltheater Weimar unter dem Titel „HORIZONTE. Ein Kunstprojekt zum Mauerfall 1989“ eine Installation, die im Gegensatz zum Berliner „Dau“-Projekt realisiert werden konnte. Dazu wurden am 28. Oktober 2019 auf dem Theaterplatz in Weimar 17 Betonelemente aufgestellt, die eine temporäre, 20 Meter lange Mauer bildeten. Anschließend gestaltete die Künstlerin Christina Wildgrube die Mauer mit Bildern, woran sie bis zum 9. November täglich weiterarbeitete. Zudem begleiteten Ensemblemitglieder des Theaters und der Staatskapelle Weimar das Projekt mit künstlerischen Aktionen. Die einzelnen Teile der Mauerinstallation waren anschließend für einen Einstiegspreis von 500 Euro zu erwerben, der Erlös kam dem Kinder- und Jugendfonds der Bürgerstiftung Weimar zugute: „Die Mauer an der innerdeutschen Grenze stand symbolisch weltweit für eine kategorische Trennung auf allen Ebenen. In unserem Kunstprojekt ‚HORIZONTE‘ wandelt eine Mauer innerhalb von zehn Tagen ihren Charakter und wird zum Zeichen von Gemeinsamkeit: Menschen aus den verschiedensten Bereichen unserer Stadtgesellschaft werden mit dem Erwerb einzelner Mauerteile die Bürgerstiftung Weimar unterstützen“, so Hasko Weber, Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Um den einigenden Gedanken der Aktion über den Zeitraum der Installation hinaus im Stadtbild zu verankern, wurden zudem einzelne Mauerteilreplikate dauerhaft in Weimar aufgestellt.

Ein Originalsegment der Berliner Mauer dagegen bildet einen Teil der „Statue of Liberty“ des dänisch-norwegischen Künstlerduos Elmgreen & Dragset, die seit Juni 2019 als permanente Außenskulptur im Innenhof des Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart in Berlin steht. Der zweite Teil des Kunstwerkes besteht aus einem Geldautomaten, der in das Mauerstück eingelassen wurde. Der Name „Statue of Liberty“ verweist auf den Status der Freiheitsstatue in New York als Symbol der grenzenlosen Freiheit und als Touristenattraktion. Die Verschmelzung der Mauer als Sinnbild für den Kalten Krieg und die Einschränkung von individueller Freiheit mit dem Geldautomaten als Ausdruck einer zunehmenden Kommerzialisierung Berlins und seiner Geschichte soll nach dem Willen der Künstler dreierlei sein: Denkmal der deutsch-deutschen Teilung, Monument der Erinnerung an eine verschwundene Zeit voller Möglichkeiten unmittelbar nach der Wende sowie Mahnmal des Ausverkaufes von Geschichte und Stadt.

Nur wenige Meter vom Hamburger Bahnhof war in der Galerie „Chaussee 36“ vom 11. Oktober bis zum 30. November 2019 die Fotoausstellung „Walls Come Tumbling Down!“ zu sehen. Für diese war das 30-jährige Jubiläum des Mauerfalles der Anlass, sich des Themas „Mauern“ im Allgemeinen anzunehmen. Neben historischen Fotografien der Berliner Mauer standen aktuelle Werke, die zeigten, dass die Spuren der Teilung bis heute im Berliner Stadtbild sichtbar sind. Mit Fotografien von heute bestehenden Sperren und Abgrenzungen zwischen Israel, den USA und Nordafrika wurde zudem die Frage aufgeworfen, was diese Mauern über den heutigen Zustand der Welt verraten. Die 2019 nach grundlegender Sanierung neu eröffnete Galerie schloss damit einen Bogen zu ihrer eigenen Geschichte. An der Chausseestraße direkt gegenüber dem Neubau des Bundesnachrichtendienstes gelegen, befindet sie sich genau dort, wo sich einst der Grenzübergang Chausseestraße befand. Die Fassade des Komplexes wurde bei der Renovierung weitgehend im bisherigen Zustand belassen und erinnert an die Zeiten, in denen das ehemalige preußische Offiziershaus in der DDR stand – hinge nicht über der Toreinfahrt spektakulär ein originales Element der Berliner Mauer. Es steht auf einem Metallrahmen und ist mit Stahlseilen an der Fassade befestigt. Bemalt hat es die Künstlerin Julianne Sibiski. Auch der Eingang zum Innenhof wurde nur behutsam erneuert, ursprüngliche Bemalung aus der Vorkriegszeit und originale Plakate von „Bündnis 90“ sind erkennbar. Im Innenhof beherrscht ein moderner Neubau das Bild – und etwas versteckt um die Ecke steht ein weiteres originales Mauerstück. Es trägt das Konterfei von Michail Gorbatschow und wurde von zahlreichen berühmten Schauspielern signiert. Ein drittes Mauerstück lässt sich vom Hof aus bereits erahnen: Es steht auf dem Dach des Neubaues, wurde von Thierry Noir bemalt – und auf seinen Stützfuß wurde eine Badewanne montiert.

Vollkommen unbemalt dagegen ist das originale Segment der Berliner Mauer, das der damalige Brandenburger Innenminister Karl-Heinz Schröter bereits am 29. August 2019 in Anwesenheit seines rheinland-pfälzischen Amtskollegen Roger Lewentz der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz übergab. Es steht seitdem im Innenhof der Hochschule am Flughafen Frankfurt-Hahn, der in Rheinland-Pfalz liegt. In seiner Eigenschaft als Landrat des Landkreises Oberhavel hatte Schröter bereits dafür gesorgt, dass zahlreiche Mauerstücke nicht geschreddert wurden. Daher konnte der Landkreis in den vergangenen Jahren viele Segmente in die ganze Welt verteilen. So gingen unter anderem 2007/2008 vier Mauerteile in das Hudson County im US-Bundesstaat New Jersey, USA, die allerdings bislang nicht öffentlich zugänglich sind, 2017 zwei weitere in das neu errichtete Internationale Spionagemuseum in Washington, D. C., eines 2008 nach Tampere in Finnland (siehe Eintrag „Tampere, Finnland“) und 2009 eines nach Taipei in Taiwan (siehe Eintrag „Taipei, Taiwan“) und zwei nach Powiat Bialski in Polen (siehe Eintrag „Powiat Bialski, Polen“).

Ebenfalls in Hinblick auf den 30. Jahrestag des Mauerfalles hatten die Stiftung Berliner Mauer und das DDR-Museum dazu aufgerufen, auch die Erinnerung an weniger gut sichtbare, außerhalb des Berliner Stadtzentrums gelegenen Mauerreste wachzuhalten.[25] Dabei wurde insbesondere auf ein erhaltenes, etwa 60 Meter langes Teilstück der Hinterlandmauer an der Ecke Dolomitenstraße, Ecke Maximilianstraße in Pankow hingewiesen, das zu einem ursprünglich mehrere Hundert Meter langen Abschnitt entlang der Bahnstrecke Berlin-Stettin gehörte. Ein neuer Radweg sollte eingerichtet werden, um der Öffentlichkeit den Zugang zu dem historischen Ort zu erleichtern, der laut Manfred Wichmann, Mitarbeiter der Stiftung Berliner Mauer, zeige, wie tief das Grenzregime der DDR in das Alltagsleben der Menschen in Ost-Berlin eingriff.

Umso lauter war der Aufschrei, als wenige Monate später bekannt wurde, dass die Mauerreste quasi über Nacht fast vollständig abgerissen worden waren, um Platz für den Neubau von Wohnhäusern zu schaffen.[26] Möglich war dies, weil die Mauerteile nicht unter Denkmalschutz standen. Im Mai 2020 wurde verkündet, dass immerhin ein vom Abriss verschontes Reststück von knapp zehn Metern unter Denkmalschutz gestellt werden konnte.[27]

Platz für Protest

Im Jahr nach dem 30-jährigen Jubiläum machte sich am Tag des Mauerbaues eine Gruppe belarussischer Demonstranten ein Mauerstück zu eigen, das auf dem Potsdamer Platz in Berlin steht. Um gegen die umstrittene Wiederwahl von Alexander Lukaschenko als Präsident ihres Heimatlandes zu protestieren, zogen sie am 13. August 2020 zunächst lautstark durch Berlin, um dann am Potsdamer Platz eine Kundgebung abzuhalten. Wie auch in Belarus selbst, waren es in Berlin mehrheitlich junge Frauen, die gegen den autoritären Präsidenten demonstrierten. Viele von ihnen waren angesichts der gewalttätigen Niederschlagung der Proteste in ihrem Heimatland in großer Sorge um Freunde und Verwandte. Das Mauersegment hatten sie zuvor in den Farben des Protestes gegen Lukaschenko, Rot und Weiß, bemalten. Auf dem oberen Teil steht „#belarus2020“ und „#freedombelarus“, in der Mitte ist ein großes, weißes Peace-Zeichen auf rotem Grund zu erkennen und ganz unten steht das Wort „NOW“. Eigentümer des Segmentes ist Hans Martin Fleischer. Er hatte die belarussischen Aktivistinnen zu der Aktion eingeladen. Seit dem 9. November 2001 steht sein Mauersegment mit Genehmigung des Bauamtes vor dem nördlichen Eingang des Bahnhofes Potsdamer Platz.  Auch heute ist Fleischer von der Mauer noch genauso fasziniert, wie er es als junger Student war. Damals kaufte er sich vier weitere, ganz besondere Mauersegmente: Als links und rechts der ersten Lücke in der Mauer am Potsdamer Platz stehende Elemente, wurde sie 1989 tausendfach fotografiert. Da von einem Gemälde, das den Hitler-Stalin-Pakt thematisierte, nur ein Hakenkreuz übrig blieb, erwiesen sie sich als unverkäuflich. Und so stehen sie bis heute in einer Lagerhalle in Brandenburg. In den 1990er Jahren begann Fleischer zudem, mit einem Mauerstück aus Pappmaschee durch die Welt zu reisen und dieses an allen möglichen Orten zu fotografieren. So entstanden in den vergangenen 25 Jahren in Paris, Hamburg oder Słubice, aber auch im Kriegsgebiet in der Ukraine, Fotos von der „Mauer in Bewegung“. Da Fleischers Mauerstück schwimmen kann, steht es auf vielen seiner Bilder am oder im Wasser.

An vielen Stellen im Berliner Stadtbild und im Bewusstsein der Bewohner der Stadt ist die Berliner Mauer und die Teilung der Stadt also nach wie vor präsent. Auch Touristen zogen stets zu vielen Tausenden an die Orte des Gedenkens zwischen East Side Gallery, Bernauer Straße, Potsdamer Platz und dem Deutschen Bundestag. Und sobald es wieder möglich ist, werden sie dies auch ganz sicher wieder tun. Neben dem bisweilen vergeblichen Einsatz für den Erhalt historischer Bausubstanz ist mittlerweile die künstlerische Bearbeitung des Themas Mauerbau getreten. Einige Kunstwerke haben inzwischen Einzug in die Museen gehalten, andere Projekte wurden heiß diskutiert. Mit Blick auf die eingangs erwähnte Forderung „Die Mauer muß bleiben“ lässt sich angesichts des bevorstehenden 60. Jahrestages des Mauerbaues daher festhalten: Die Mauer ist geblieben. Glücklicherweise nur in der Erinnerung.


[1] Gründungsaufruf der Initiative „Die Mauer muss bleiben“ vom 30.10.1989, in: http://www.berliner-geschichtswerkstatt.de/news-reader/items/berliner-geschichtswerkstatt-zum-teilweisen-abriss-der-east-side-gallery.html, Zugriff am 16.03.2021.

[2] Siehe den Beitrag von Ronny Heidenreich „Beton zu Geld“ in diesem Band.

[3] Vgl. Sälter, Gerhard: Mauerreste in Berlin, 2. überarbeitete Aufl., Berlin 2007, S. 18.

[4] In Auseinandersetzungen mit der Sophiengemeinde erfolgte mit der Begründung, dass sich an dieser Stelle Kriegsgräber aus dem 2. Weltkrieg befänden, der Herausbruch von Segmenten dieses Mauerabschnittes durch den damaligen Pfarrer der Sophiengemeinde.

[5] Dmitri Wrubel versah sein Wandbild zudem mit dem Kommentar „Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben“.

[6] Siehe den Beitrag von Axel Klausmeier in diesem Band.

[7] Weitere Orte des Gedenkens an die Berliner Mauer können über die Dokumentation der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur nachvollzogen werden: Erinnerungsorte an die Berliner Mauer und innerdeutsche Grenze, erarbeitet von Ruth Gleinig und Enrico Heitzer, Berlin 2011.

[8] „Meine Mitte“, in: Der Spiegel vom 26.09.2020.

[9] Vgl. „Die Mauer muss weg! Es lebe die Mauer!“, in: Teltower Stadt-Blatt vom November 2013.

[10] Vgl. „Die Mauer geht auf große Fahrt“, in: Der Tagesspiegel vom 9.11.2013.

[11] „Begehrte Bilder auf Beton“, in: Potsdamer Neueste Nachrichten vom 18.12.2018.

[12] Im Dezember 2013 gab das Unternehmen die Umwandlung von einer AG in eine Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea/SE) bekannt.

[13] „Zwei Mahnmale der Freiheit. BILD schenkt Düsseldorf und Braunschweig ein Mauerstück“, in: http://www.bild.de/politik/2009/duesseldorf/mahnmale-der-freiheit-bild-schenkt-duesseldorf-und-braunschweig-stueck-der-mauer-10319938.bild.html; Zugriff am 26.01.2021.

[14] „BILD sagt Danke für die Einheit“, in: Bild vom 10.08.2011.

[15] „Ein Mann schützt die Grenze“, in: Der Tagesspiegel vom 25.01.2018.

[16] https://pankowerchronikdotde.wordpress.com/2018/01/22/kleine-sensation-ganze-80-meter-innerdeutsche-staatsgrenze-im-urzustand-in-pankow-entdeckt/, Zugriff am 03.03.2021.

[17] „Die Berliner Mauer steht noch“, in: https://www.spiegel.de/geschichte/berliner-mauer-heimatforscher-findet-80-meter-ddr-historie-a-1190899.html, Zugriff am 03.03.2021.

[18] https://www.visitberlin.de/de/mauer-denkmal-berlin-reinickendorf, Zugriff am 04.03.2021.

[19] „In diesem Dorf steht immer noch die Mauer“, in: https://www.tag24.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern-wischershausen-dorf-mauerteile-ddr-versteigerung-silos-442250, Zugriff am 04.03.2021.

[20] „DDR-Mauer als Ladenhüter“, in: Schweriner Volkszeitung vom 08.02.2018.

[21] „Steht auch noch in 100 Jahren. Bewohner von Mitte und ihr Bezirksbaustadtrat haben ein vergessenes Stück Mauer wiederentdeckt“, in: Der Tagesspiegel vom 14.082018.

[22] „BILD hat das Mauer-Versteck entdeckt!“, in: Bild vom 17.09.2018.

[23] „Behörden lehnen ‚Dau‘-Projekt ab“, in: Der Tagesspiegel vom 21.09.2018.

[24] https://www.berlin.de/kultur-und-tickets/tipps/30-jahre-mauerfall/, Zugriff am 03.03.2021.

[25] „In Berlin gibt’s noch Tausende Mauerreste“, in: B.Z. vom 27.09.2019.

[26] „Großes Stück Berliner Mauer für neue Wohnungen abgerissen“, in: https://www.tagesspiegel.de/berlin/historiker-entsetzt-ueber-verlust-in-pankow-grosses-stueck-berliner-mauer-fuer-neue-wohnungen-abgerissen/25700372.html, abgerufen am 19.03.2021.

[27] „Ein Rest von Erinnerung“, in: Der Tagesspiegel vom 14.05.2020.


Moritz Reininghaus: Historiker und Journalist. Studium Geschichte, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Potsdam (M.A. phil.) und freie Mitarbeit am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien sowie am Institut für Germanistik/Jüdische Studien an der Universität Potsdam. Von 2006 bis 2012 Redakteur der Jüdischen Zeitung und freie Mitarbeit u.a. für Der Tagesspiegel und den Rundfunk Berlin-Brandenburg. Seit 2018 Projektmitarbeiter der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Tina Schaller: Freischaffende Historikerin (M.A. phil.). Mitarbeit an verschiedenen historischen und kunsthistorischen Ausstellungen sowie Publikationsprojekten. Promoviert am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.

Zuletzt erschienen: (Hg. mit Gerhard Sälter): Grenz- und Geisterbahnhöfe im geteilten Berlin, 3. Aufl., Berlin 2017; Der Währungsumtausch als Marionettenspiel. Greta Kuckhoff, der Geldumtausch in der DDR und parteiliche Disziplinierung, in: Deutschland Archiv, 19.10.2016, www.bpb.de/235558; (Hg. mit Gerhard Sälter und Anna Kaminsky): Weltende – Die Ostseite der Berliner Mauer. Mit heimlichen Fotos von Detlef Matthes, Berlin 2011; (Hg. mit Bettina Effner und Enrico Heitzer): Verschwunden und Vergessen. Flüchtlingslager in West-Berlin bis 1961, Berlin 2012.