Bei eisiger Kälte fanden sich am Vormittag des 22. Januar 2008 etwa 160 Menschen in der Western Avenue, der Metrostation am Lincoln Square von Chicago, ein. Anlass der Zusammenkunft war die Einweihung eines originalen Mauerstückes. Heute strömen an ihm täglich zahllose Fahrgäste auf dem Weg zur Hochbahn vorbei. Die „Berlin Wall Exhibit“, die neben dem Mauerteil steht, liefert kurze Informationen zur deutschen Teilung.
Der Lincoln Square und die umliegenden Straßen sind seit jeher stark von deutschstämmigen Chicagoern geprägt, die sich hier seit Mitte des 19. Jahrhunderts niedergelassen haben. Der Bürgermeister des Stadtbezirks, Gene Schulter, und zahlreiche deutsche Vereine waren daher auch der Initiative des deutschen Generalkonsulates gegenüber aufgeschlossen, ein Mauerstück hier aufzustellen. Der Berliner Senat, dem das Projekt 2004 angetragen wurde, unterstützte das Vorhaben. Im August 2006 flog die Lufthansa ein Mauerteil ein, das bislang am Potsdamer Platz auf dem heutigen Gelände des Sony-Centers gestanden hatte. Doch es sollte noch zwei Jahre dauern, bis ein endgültiger Standort gefunden war. Das vom Unternehmer und Herausgeber der „Chicago Tribune“, Robert McCormick, begründete McCormick Freedom Museum hätte das Segment gerne in seiner Ausstellung gehabt. Allerdings war die Statik des Gebäudes nicht geeignet, um das 2,6 Tonnen schwere Teil aufzunehmen, sodass sich diese Pläne zerschlugen. Als neuen Standort hatte Gene Schulter bereits den Lincoln Square ins Auge gefasst. Ron Huberman, Präsident der Chicagoer Nahverkehrsgesellschaft CTA, war von der Idee ebenfalls angetan. Das Mauerstück sollte in der Western Avenue Station einen Platz finden. Für Huberman war damit die Hoffnung verbunden, dass nun mehr Fahrgäste die wirtschaftlich angeschlagene Metrolinie nutzen würden. Schulter seinerseits war davon überzeugt, mit der Mauer mehr Touristen in seinen Bezirk zu locken und stellte 240.000 US-Dollar für die Realisierung des Projektes zur Verfügung.
Zur Einweihung überbrachte der deutsche Generalkonsul Wolfgang Drautz die Grüße des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit. Schulter bedankte sich bei der Bundesrepublik Deutschland und der Stadt Berlin für die Überlassung des Mauerteiles, das für die „Freiheit nach der Unterdrückung“ stehe. Über die dramatischen Stunden des Mauerfalles berichtete der ehemalige stellvertretende US-Botschafter in der DDR, J. D. Bindenagel, der den 9. November 1989 in Ost-Berlin miterlebt hatte. Vertreter der ehemaligen West-Berliner Schutzmächte Frankreich und Großbritannien hatten sich zur Übergabe ebenso eingefunden wie Diplomaten aus Belgien, der Tschechischen Republik und Polen.