Das 2004 eröffnete National Underground Railroad Freedom Center in der Innenstadt von Cincinnati widmet sich der Geschichte der Sklaverei in den USA. Seinen Namen verdankt das Museum einem um 1780 gegründeten Netzwerk, dem es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gelang, über geheime Fluchtwege rund 100.000 Sklaven aus den Südstaaten der USA in die sicheren Nordstaaten und die Provinz Kanada zu schleusen. Sein Standort verweist auf die bedeutende Rolle von Cincinnati in der Geschichte dieser Fluchthilfe, da hier Tausende von Sklaven mit dem Fluss Ohio die Grenze zu den südlichen Sklavenstaaten überquerten und damit die Freiheit erreichten. Da das National Underground Railroad Freedom Center neben dem Museum of Tolerance in Los Angeles, dem United States Holocaust Memorial Museum in Washington und dem National Civil Rights Museum in Memphis, Tennessee, eines von vier „Museen des Gewissens“ in den USA ist, richtet es seinen Blick aber nicht nur auf sein eigentliches Thema, sondern auch auf viele andere Freiheitskämpfe in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Deshalb werden seine Besucher beispielsweise aufgefordert, über die Freiheit in ihrem eigenen Leben nachzudenken – und deshalb steht seit 2010 ein Stück Berliner Mauer vor dem Museum.
Die Initiative für das Mauerstück in Cincinnati ging ursprünglich von dem emeritierten Germanistikprofessor an der Universität von Cincinnati und ehemaligen Honorarkonsul Deutschlands, Richard E. Schade, aus. Aus einer deutsch-amerikanischen Familie stammend, hatte dieser in den 1960er Jahren in Marburg studiert, 1964 war er der Westseite der Berliner Mauer zum ersten Mal gegenübergestanden. Ehe er sein Studium an der Universität Yale fortsetzte, leistete er seinen Militärdienst bei der US-Militärspionageabwehr an der innerdeutschen Grenze ab. Als Germanist baute er später einen engen Kontakt zum Lessing-Museum in Kamenz auf und besuchte mehrfach die DDR. Als im November 1989 die Mauer fiel, hielt sich Schade gerade beruflich in München auf und begab sich umgehend nach Berlin. Der passionierte Fotograf dokumentierte den Mauerfall und seine Spaziergänge durch Ost-Berlin ausgiebig, 2014 zeigte die Universität Cincinnati eine Ausstellung dieser Bilder. Mit Blick auf das 20-jährige Jubiläum des Mauerfalles hatte er 2008 die Vorstellung entwickelt, ein Mauerstück nach Cincinnati zu bringen und konnte verschiedene wirtschaftliche und politische Entscheidungsträger der Handelsmetropole von der Idee überzeugen, insbesondere die den Kontakt zur Partnerstadt München pflegende Munich Sister City Association of Greater Cincinnati. Schon bald nahm Schade Kontakt zum Kanzleramt in Berlin auf und arrangierte schließlich, dass Berlins Regierender Bürgermeister, Klaus Wowereit, seinem Amtskollegen in Cincinnati, Mark Mallory, ein Segment schenkte. Nachdem sich die Firma Thyssenkrupp Bilstein in Fairfield, Connecticut, bereit erklärt hatte, die Transportkosten zu übernehmen, konnte Schade nach Berlin fahren und ein Mauerstück aussuchen. Am Vorabend des amerikanischen Unabhängigkeitstages wurde das Segment am 3. Juli 2010 im Rahmen einer Gala feierlich eröffnet. Sowohl der Standort am Ufer des Ohio Rivers in Cincinnati vor dem National Underground Railroad Freedom Center als auch die gesamte Präsentation wurden sehr sorgfältig ausgewählt und umgesetzt. Ein Architekturbüro wurde eigens damit beauftragt, ein Konzept zu entwickeln. Die weiß bemalte Seite, die einst in Richtung DDR zeigte, wurde in Richtung des Ohio Flusses positioniert. Die mit originalem Graffiti besprühte Seite, die einst Richtung West-Berlin zeigte, weist zum Center. Um das Graffiti zu erhalten, das die Hälfte eines freundlichen Gesichtes einer jungen Frau darstellt, ist diese Seite mit einer Glasscheibe geschützt. Auf dem Glas befindet sich folgende Inschrift:
Freedom without Walls
On August 13, 1961, the totalitarian government of East Germany split Berlin with a wall of concrete. Free expression of thought disappeared. From 1961 to 1989, some 130 people were killed attempting to escape through this brutal barrier to freedom. Many others were injured.
In the autumn of 1989, hundreds of thousands of East Germans began peaceful marches against the oppressive regime. These courageous acts of resistance were inspired by the civil rights movement in the United States. Their chant was “Wir sind das Volk”, We are the people, implicitly a reference to the United States Constitution. Ultimately the Berlin Wall could not withstand the desire for freedom and on November 9th 1989 the wall fell.
This section of the wall, a gift from the City of Berlin, honors those who have died seeking freedom without walls.
[Freiheit ohne Mauern
Am 13. August 1961 spaltete die totalitäre ostdeutsche Regierung Berlin mit einer Betonmauer. Die freie Meinungsäußerung verschwand. Von 1961 bis 1989 wurden etwa 130 Menschen bei dem Versuch, über diese brutale Barriere in die Freiheit zu entkommen, getötet. Zahlreiche andere wurden verletzt.
Im Herbst 1989 gingen Hunderttausende ostdeutsche Bürger friedlich gegen das unterdrückende Regime auf die Straße. Diese couragierten Aktionen gewaltfreien Widerstands waren von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung inspiriert. Ihr Gesang „Wir sind das Volk“ enthielt den Hinweis auf die amerikanische Verfassung. Letztendlich konnte die Mauer dem Wunsch nach Freiheit nicht standhalten und fiel am 9. November 1989.
Vor Ihnen steht ein Stück dieser Mauer, ein Geschenk der Stadt Berlin an die Bürger von Cincinnati. Es ehrt den menschlichen Geist. Es erinnert an die Menschen in aller Welt, die auf der Suche nach Freiheit ohne Mauern gestorben sind.]