Im Frühjahr 1990 war im polnischen Dorf Sosnówka, unweit von Wrocław (Breslau) gelegen, ein eigenartiges Schauspiel zu beobachten. Eingezwängt zwischen Mauerteile tuckerte ein goldfarben bemalter Trabant über die Wiese. Dieses Spektakel war die Idee von Ludwik Wasecki, Berliner Zahnarzt und Kunstsammler, der, inspiriert durch den Mauerfall, seine künstlerische Berufung gefunden hatte. Waseckis Erstlingswerk folgte eine zweite Installation, für die er wiederum die Berliner Mauer aus Holz und Pappmaschee nachbaute. Bei dieser Installation durchbrach eine große Aluminiumgabel die Grenzbefestigung, deren Zinken in einem schlichten Holztisch steckten. Wasecki nannte seine Arbeit „Wolfshunger“ und knüpfte damit an seine Erfahrungen in Ost-Berlin in den 1970er Jahren an. Von dort war ihm das aus Aluminium gefertigte Einheitsbesteck in Erinnerung geblieben. Wasecki traf sich in der DDR mit seinen Eltern, Freunden und Bekannten, die er seit seiner Emigration nach Schweden 1973 nicht mehr in Polen direkt besuchen konnte. In Wrocław geboren, studierte er Zahnmedizin und verließ seine Heimat nach dem Studium 1972. Erst 1977 durfte er besuchsweise dorthin zurückkehren. Seit dieser Zeit begann er sich für Kunst zu interessieren. Er sammelte Werke zeitgenössischer polnischer Maler wie Jan Aleksiun, Józef Halas, Przybyslaw Krajewski oder Anna Binkuńskas. Ihre Gemälde brachte Wasecki nach West-Berlin, wo er seit 1979 eine Zahnarztpraxis betrieb.
1990 wurde ein Redakteur einer Berliner Tageszeitung auf die Mauerkunstwerke aufmerksam. In den Monaten nach dem Mauerfall war das Interesse an solchen Aktionen groß, und Wasecki kam mit Rainer Hildebrandt, Direktor des Mauermuseums – Museum „Haus am Checkpoint Charlie“, in Kontakt. Dieser war von den Mauerinstallationen sofort begeistert und wollte sie auf dem Dach des Museums ausstellen. Hildebrandt schlug vor, Waseckis Kreationen um originale Mauersegmente zu ergänzen. Da dieser die damaligen Marktpreise von mehreren Zehntausend D-Mark pro Mauerteil nicht aufbringen konnte, versprach Hildebrandt, sich darum zu kümmern. Im Oktober 1990 durfte Wasecki sich sechs Mauersegmente aussuchen, die inzwischen abgebaut und zum Verkauf eingelagert worden waren. Gegen eine Spende von 7.000 D-Mark ließ er sie auf einen Tieflader verfrachten und nach Sosnówka bringen. Damit war der Grundstock für eine weltweit einzigartige Sammlung gelegt. Mithilfe des Mauermuseums und seiner Kontakte zu Hagen Koch, erhielt Wasecki immer neue Stücke. Der ehemalige Grenzsoldat und Stasi-Offizier Koch war im Frühjahr 1990 von der DDR-Regierung zum Sonderbeauftragten für den Grenzabbau ernannt worden.
Unter den von Wasecki angekauften Mauerteilen befinden sich auch acht bunt bemalte Segmente, die bei der ersten großen Mauerauktion in Monaco ersteigert, aber nicht abgeholt worden waren. Für ein in blau gehaltenes und mit einem orangefarbenen Frauenkopf verziertes Teil hatten japanische Käufer bereits 40.000 D-Mark gezahlt, es dann aber doch nicht haben wollen. Es steht heute zusammen mit 42 weiteren Segmenten auf der Wiese in Sosnówka. Wasecki fertigte in den kommenden Jahren immer neue Installationen. So zermalmt eine überdimensionale Kaffeemühle Mauerbrocken, riesige rote Boxhandschuhe sind zwischen den Betonteilen gespannt – der „Knockout“ für die Mauer, so Waseckis Titel. Auf ein graues Segment gehen aus Holz gefertigte Strichmännchen zu – „auf der Suche nach dem Ausgang“, so der Name dieses Werkes. Anlässlich des 30. Gründungstages von Hildebrandts Mauermuseum wurden einige von Waseckis Kunstwerken in Deutschland 1991 öffentlich präsentiert.
Seine Arbeiten erregten auch in seinem Heimatland Aufsehen. Im Oktober 1992 wurde im Architekturmuseum Wrocław eine Mauerkunst-Ausstellung eröffnet. Sie enthielt Werke von Wasecki, die wiederum auf großes Interesse stießen. Sieben Jahre später wurden die Mauerteile erneut in Wrocław gezeigt, wo sie unter freiem Himmel auf dem Marktplatz zu sehen waren.
Neben seinen eigenen Kunstwerken sind in Sosnówka auch die Arbeiten bekannter Mauerkünstler wie Kiddy Citny, Keith Harring oder Thierry Noir zu bewundern. Letzterer kam nach Sosnówka, um noch einige unbemalte Segmente mit seinen berühmten Köpfen zu verzieren. Bei dieser Gelegenheit malte er auch Waseckis Badezimmer sowie die Scheune neu aus. Trotz dieser herausragenden Sammlung stehen die Mauerteile heute weitgehend unbehelligt auf dem Anwesen in Sosnówka. Besucher verirren sich nur selten in das abgelegene Dorf. Dafür wurde eine von Waseckis Arbeiten im Sommer 2009 neben dem Theater in Gniezno (Gnesen) aufgestellt. Ein überdimensionaler Bohrer, der sehr deutlich an Zahnarztapparaturen erinnert und zwei Mauerteile durchschlägt, ziert das Zentrum der alten polnischen Hauptstadt.